Hottenberg West - Bienen statt Beton!
Wir wohnen an der Hauptstraße in Ammerbuch - Poltringen mit fünf Personen in vier Zimmern. Eigentlich könnte man sich in dieser Lage freuen, wenn vor Ort ein Neubaugebiet geplant wird. Aber das Gebiet "Hottenberg West", das nur einige Meter von unserer Wohnung entfernt geplant wird, hat einen viel zu hohen Preis.
Im direkt angrenzenden, vorherigen Bebauungsplan wurde der jetzt überplante Bereich bereits aus Naturschutzgründen ausgeschlossen und als Grünzug festgelegt. Mitten durch das Gebiet zieht sich eine Hecke, die, wie man auch über den Kartenserver der LUBW nachschlagen kann, ein geschütztes Biotop und Element des landesweiten Biotopverbunds ist. Die Hecke steht über weitere Hecken, Gärten und Wiesen in Verbindung mit dem nahegelegenen Naturschutzgebiet Ammertalhänge. Im Bereich des Heckenfußes gibt es einen Saum aus wärmeliebenden Pflanzen und aufgrund des in diesem Bereich rutschigen Hanges Erdblößen und Abbrüche. Die Hecke bietet zahlreiche Kleinlebensräume für Tiere, darunter auch liegendes und stehendes Totholz und einen überwachsenen Steinriegel. Trotz der vorherigen Festlegung und der Existenz des geschützten Biotops versucht die Gemeinde Ammerbuch, die Planung im Schnellverfahren nach §13b Baugesetzbuch durchzuführen. Bevor mehrere Anwohner in ihren Stellungnahmen auf die Existenz weiterer, nicht im Umweltbericht aufgeführter Arten hinwiesen, wurde außerdem versucht, auf eine eingehende Umweltprüfung zu verzichten.
Im Umweltbericht wird der Fund einer toten Schlingnatter erwähnt. Wir und weitere Anwohner hatten auch lebende Exemplare in unseren Gärten. Im vergangenen Sommer ist eine Eidechse vor mir in die Hecke geflüchtet. Und außerdem gibt es Laubfrösche im Gebiet. Sowohl Schlingnatter als auch Laubfrosch sind im Anhang IV der FFH-Richtlinie aufgeführt, genießen also besonders strengen rechtlichen Schutz. Dies gilt auch für manche Eidechsen. Das Exemplar, das ich beobachtet habe, ist aber zu schnell verschwunden, um die Art zu bestimmen.
Die Laubfrösche, die hier in der Umgebung leben, kommen fast jeden Sommer auch in unseren Garten. Wir beobachten sie besonders in der Wassertonne, aber auch in einem Baum saß eine Zeitlang öfters ein Exemplar. Ich habe mich zunächst über die seltsamen Töne gewundert und dachte erst eher an einen mir unbekannten Vogel, bis einmal einer der Frösche vor meinen Augen quakte. Genau dieses Quaken habe ich auch in verschiedenen Bereichen des Plangebiets gehört, unter anderem in der Hecke. Direkte Anwohner des Plangebiets haben die Laubfrösche ebenfalls in ihren Gärten beobachtet. Die Art ist laut Roter Liste Baden-Württemberg stark gefährdet. Es ist nicht möglich, sie vor Baumaßnahmen zu schützen, denn die Tiere sind äußerst agil. In unserem Garten springen sie von der Wassertonne an die Hauswand oder in den nächsten Busch und bewegen sich dann in gleicher Weise weiter. Laubfrösche sind außerdem von geeigneten Sommerquartieren in der Umgebung ihres Laichreviers abhängig, in das sie regelmäßig zurückkehren. Allein schon deswegen kann man sie nicht einfach umsiedeln. In einem Naturgarten kommen Laubfrösche zumindest zu Besuch. Eine stark verdichtete Bebauung wie die geplante ist unter anderem durch die Aufheizung versiegelter Flächen und einen Mangel an Lebensraumstrukturen für Frösche wirklich lebensfeindlich.
Die Hecke im Gebiet ist auch ein artenreicher Insektenlebensraum. Insbesondere gibt es dort viele Wildbienen. Mindestens drei der Arten - Herzlichen Dank an Paul Westrich für die Bestimmungshilfe! - sind selten: Anthophora aestivalis (stark gefährdet), Megachile pilidens und Coelioxys afra (beide gefährdet). Weitere Arten sind wegen Bestandsrückgängen auf der Vorwarnliste verzeichnet. Auch verschiedene Schmetterlinge sind zu finden. Der Wegerich - Scheckenfalter (Melitaea cinxia) ist stark gefährdet, der Himmelblaue Bläuling (Lysandra bellargus) ist gefährdet, Kleebläuling (Cupido argiades), Kleiner Feuerfalter (Lycaena phleas), Kleiner Perlmutterfalter (Issoria latonia) und Rotkleebläuling (Polyommatus semiargus) stehen auf der Vorwarnliste. Neben den seltenen Arten gibt es in und um die Hecke ein reiches Nützlingsvorkommen, darunter Wildbienen mit hoher Bestäubungswirkung wie Hummeln, aber auch Schädlinge eindämmende Arten der Marienkäfer, Schwebfliegen, Florfliegen, parasitischen Fliegen und Wespen.
Unter den Pflanzen im Gebiet sind Rankenplatterbse (Lathyrus aphaca), Kartäusernelke (Dianthus carthusianorum) und Schlangenlauch (Allium scorodoprasum) auf der Vorwarnliste verzeichnet. In einem der überplanten Äcker war im Sommer 2020 der gefährdete Blaue Gauchheil (Anagallis foemina) zu finden. In manchen Äckern um Poltringen treten immer wieder seltene und sehr seltene Ackerbegleitpflanzen auf.
Der Heckenstandort auf dem westlichen Hottenberg hat aufgrund seiner exakten Lage eine hohe Bedeutung für die Biotopvernetzung, insbesondere auch auf die Biotopvernetzung des Naturschutzgebietes Ammertalhänge Richtung Schönbuch. Aufgrund der Biotopvernetzungsfunktion, und auch, weil gewachsene Vegetation, die Hanglage und die Nachbarschaft zu Wiesen und einem feuchten Graben wichtig für dort vorkommende Arten sind, ist der Standort nicht kompensierbar. Das NSG Ammertalhänge ist in Richtung Norden von Äckern begrenzt und Richtung Süden von einer Straße. Beides stellt zum Beispiel für Arten, die von Heckenlebensräumen abhängig sind, eine Barriere dar. Blütenarme Äcker sind auch eine Barriere für alle Bienen. Die Hecke am westlichen Poltringer Ortsrand bietet derzeit noch vielen Arten eine Chance, den Ort nordwestlich zu umrunden. Ein verdichtetes Baugebiet würde das Naturschutzgebiet für viele davon abschotten. Die Vernetzung von Biotopen ist für den Artenschutz aber sehr wichtig. In isolierten Populationen kommt es zu Inzucht. Dies macht ein Aussterben der Population wahrscheinlicher, und wenn es geschieht, auch aufgrund von Umwelteinflüssen, kann an abgeschnittenen Standorten keine Einwanderung aus benachbarten Populationen mehr stattfinden. Die Zerschneidung der Landschaft ist deswegen eine sehr bedeutende Bedrohung für die Artenvielfalt.
Die Planungen haben außerdem einen negativen Effekt auf das Landschaftsbild und die Naherholung, beides sind auch rechtliche Schutzgüter. Die direkten Anwohner im bisherigen Baugebiet haben einen Blick ins Grüne auf die Hecke und die Poltringer Stephanuskirche. Wirklich bemerkenswert ist aber der Ausblick von den Wegen oberhalb und westlich der jetzigen Bebauung, der sich über die Wurmlinger Kapelle, und die Schwäbische Alb weit in die Ferne über eine sehr abwechslungsreiche Landschaft aus Wiesen, Wald, Feldern und kleinen Ortschaften zieht. Wenn man aus einer Gegend in Norddeutschland stammt, in der "Ausblick" großflächig links Kohl, rechts Weizen, hinten Gerste und vorn Mais bedeutet, dann ist diese Landschaft auch ästhetisch etwas Besonderes und Wertvolles. Es ist schwer zu verstehen, warum manche bereit sind, dieses Gut, das bisher allen Bewohnern auch der weiteren Umgebung kostenlos zugänglich ist, zu beeinträchtigen und die besten Plätze dauerhaft nur noch denen zu geben, die dafür Spekulationspreise zahlen können.
Abgesehen von Umweltaspekten ist das Gebiet kein guter Baugrund. Der Boden am westlichen Poltringer Ortsrand ist teils sehr flachgründig und steinig, was auch bei kleineren Ausschachtungen wochenlange Arbeiten mit einem Presslufthammer erfordert. Im überplanten Taleinschnitt gibt es außerdem auf beiden Seiten Gräben. Diese haben sich bei einem Unwetter 2016 zu Sturzbächen entwickelt und sind über die Ufer getreten. Der Schotterweg entlang der Hecke wurde stellenweise aufgerissen, der Schotter, weil das Abflussrohr unter der Straße Richtung Süden überlastet war, über die Straße auf die Kreuzung beim Poltringer Schloß geschwemmt. Ein Haus von Anwohnern entging nur knapp der Überflutung. Die Wassermassen, die sich im Bereich des überlasteten Abflusses bewegten, hätten Menschen gegebenenfalls sofort weggerissen. Wo sich Wasser in dieser Menge und mit dieser Strömungsgeschwindigkeit sammelt, ist es kaum effektiv kontrollierbar. Auch eine perfekt berechnete Kanalisation ist nie hunderprozentig zuverlässig, und Bebauung erhöht den Oberflächenabfluss sehr stark. Der Taleinschnitt im Plangebiet ist relativ breit, und weil das Wasser von beiden Seiten auf eine breite, schräge Fläche trifft, ist sein Weg besonders schwer berechenbar. Wenn in einer solchen Lage die Kanalisation versagt, kann Wasser sehr schnell Gebäude überfluten und, falls jemand in einem überflutenden Raum eingeschlossen wird, zur tödlichen Gefahr werden. Auch strömendes Wasser, das sich zum Beispiel in einer Einfahrt staut, könnte dies sein. Die mögliche Gefährdung von Leben und Eigentum von Bewohnern ist bei dieser Planung genauso unverhältnismäßig im Vergleich zur Schaffung relativ weniger Wohnungen wie der große Schaden für die Artenvielfalt.
Der westliche Hottenberg ist ein sehr wertvoller Naturstandort, aber kein guter Platz, um dort zu bauen. Gerade in Zeiten, in denen allgegenwärtig über Artenschwund, Insektensterben und Klimawandel diskutiert wird, dürfte ein solches Areal als Baugebiet eigentlich niemals mehr in Frage kommen. Dieser Ort sollte Natur bleiben, für die seltenen Arten, die dort leben, und genauso für uns Menschen!
Bildreihen:
oben von links nach rechts Hyla arborea, Anthophora aestivalis, Megachile pilidens, Coelioxys afra, Anagallis foemina
unten von links nach rechts Melitaea cinxia, Polyommatus bellargus, Cupido argiades, Lycaena phlaeas
Das Bild des Laubfroschs stammt aus unserem Garten in unmittelbarer Nähe des Plangebiets. Alle anderen Fotos sind im überplanten Gebiet entstanden.